Abgasskandal der Daimler AG vor dem EuGH: Schadenersatzpflicht wegen Thermofenster?

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Mönchengladbach (ots) Das Landgericht Ravensburg hatte ein Dieselverfahren gegen die Daimler AG ausgesetzt und Fragen an den Europäischen Gerichtshof gerichtet. Dort bahnt sich jetzt eine schwere Niederlage für deutsche Automobilhersteller im Dieselabgasskandal an. Ein Thermofenster stellt aus EuGH-Sicht eine unzulässige Abschalteinrichtung dar!

Das Landgericht Ravensburg hatte vergangenes Jahr im Dieselabgasskandal für viel Wirbel gesorgt. Durch den Vorlagebeschluss vom 12. Februar 2021 (Az.: 2 O 393/20) hatte das Landgericht ein Dieselverfahren ausgesetzt und sich mit einer Reihe von Fragen an den Europäischen Gerichtshof EuGH gewendet. Unter anderem sollte geklärt werden, ob es unvereinbar mit Unionsrecht sei, wenn ein Erwerber, der ungewollt ein vom Hersteller mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Verkehr gebrachtes Fahrzeug gekauft habe, zivilrechtliche deliktische Ansprüche gegenüber dem Fahrzeughersteller auf Ersatz seines Schadens nur ausnahmsweise geltend machen könne, wenn der Fahrzeughersteller vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt habe.

Eine Begründung des Landgerichts lautete, dass ein Thermofenster auch ausnahmsweise nicht zulässig sei und es nicht ersichtlich sei, dass es die vom EuGH genannten strengen Anforderungen an eine zulässige Abschalteinrichtung erfülle. Damit hat sich der Europäische Gerichtshof nun befasst. Das Ergebnis kommt einem Erdbeben gleich: In seinen Schlussanträgen in dem Dieselverfahren (Az.: C 100/21) verdeutlichte der EuGH-Generalanwalt Athanasios Rantos, dass Verbraucher Anspruch auf Schadensersatz hätten, wenn in ihren Fahrzeugen ein sogenanntes Thermofenster verbaut sei. Ein Thermofenster stellt aus EuGH-Sicht eine unzulässige Abschalteinrichtung dar. Das Thermofenster kommt bei der Abgasrückführung zum Einsatz, wonach die Abgasrückführung bei kühleren Temperaturen zurückgefahren wird.

Dabei bezog Athanasios Rantos sich sowohl auf eine die Volkswagen AG betreffende Grundsatzentscheidung des Gerichtshofs vom 17. Dezember 2020 (Az. C-693/18) als auch auf seine früheren Ausführungen zum Thermofenster in zwei noch nicht entschiedenen Verfahren. Danach ist das grundsätzliche Verbot von Abschalteinrichtungen unmissverständlich geregelt, und ein Thermofenster ist eine unzulässige Abschalteinrichtung. Den von den Herstellern immer wieder vorgeschobenen Rechtfertigungen illegaler Abschalteinrichtungen mit Motor- und Bauteilschutz erteilte der Generalanwalt eine Absage.

„Damit positioniert sich der Europäische Gerichtshof gegen die Auffassung des Bundesgerichtshofs, der die Sittenwidrigkeit des Thermofensters zuletzt verneint hatte. Das kann ein fundamentaler Turning Point im Dieselabgasskandal sein, denn in der Regel folgt der EuGH den Schlussanträgen des Generalanwalts. In der Folge müsste dann auch der Bundesgerichtshof seine Rechtsprechung zum Thermofenster ändern. Die Ausführungen des Generalanwalt sind eine deutlich hörbare Ohrfeige für unsere höchsten Zivilrichter. Ganz eindeutig haben diese Regelungen Schutzcharakter für Autokäufer, und zwar sowohl für Neuwagenkäufer wie Gebrauchtwagenkäufer!“, sagt der Mönchengladbacher Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung von der Dr. Hartung Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Die Kanzlei befasst sich ausschließlich mit Anleger- und Verbraucherschutzthemen und hat sich auf die Beratung von Betroffenen des Abgasskandals spezialisiert.

Besonders interessant ist die Frage nach dem Drittschutz. Nach der Schutznormtheorie entfaltet eine Rechtsnorm Drittschutz, wenn diese nicht nur dem Schutz der öffentlichen Interessen zu dienen bestimmt ist, sondern (auch) dem Schutz eines erkennbar abgrenzbaren oder abgegrenzten Personenkreises dient. Für den Dieselabgasskandal würde das bedeuten, dass das Unionsrecht dem individuellen Erwerber eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, einen Ersatzanspruch aufgrund deliktischer Haftung gegen den Fahrzeughersteller einräumt, und zwar auch bei einfacher Fahrlässigkeit. Nach deutscher Rechtsprechung setzt eine solche Haftung voraus, dass die Unionsregelung darauf abzielt, die Interessen eines individuellen Erwerbers zu schützen. Diesen Drittschutz hat der Bundesgerichtshof bisher verwehrt und in Dieselverfahren, die ein Thermofenster zum Gegenstand hatten, die Schadenersatzpflicht wegen vorsätzlicher und sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB abgelehnt.

„Der Paukenschlag im Dieselabgasskandal durch die Auffassung des EuGH-Generalanwalts ist also der gegebenenfalls daraus resultierende Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB. Sittenwidrigkeit wird dabei nicht vorausgesetzt, es genügt einfache Fahrlässigkeit. Sollte sich diese Auffassung durchsetzen, könnten Geschädigte im Dieselskandal die Autohersteller wesentlich leichter für den verursachten wirtschaftlichen Schaden haftbar machen und Schadenersatz erhalten. Der EuGH setzt damit konsequent wichtige Verbraucherrechte durch und weist den BGH in seine Schranken“, betont Rechtsanwalt Dr. Gerrit W. Hartung.

Auch die deutschen Instanzgerichte, die in der Vergangenheit dem Bundesgerichtshof mehrheitlich allzu unkritisch gefolgt sind, werden sich an dem zu erwartenden Urteil des Europäischen Gerichtshof orientieren müssen. Zukünftig wird es nicht mehr möglich sein, berechtigte Ansprüche von geschädigten Dieselkäufern allein mit dem oft ungeprüften Argument fehlender Sittenwidrigkeit des Einsatzes einer Abschalteinrichtung zurückzuweisen.

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